Die Frau des Kerzenmachers

Weihnachten ist das schönste Fest hatte sie immer gesagt. Und auch wenn sie jetzt ganz allein war schmückte sie die Wohnung mit ganz viel Liebe. Seit dem Tod ihres Mannes wohnte sie in einer kleinen 2 Zimmer Wohnung. Sie sprach noch viel mit ihrem Mann und oft auch mit sich selbst. „Elfriede, du wirst langsam tüttelig. Wo hast du denn schon wieder die Streichhölzer hingelegt. Ach dort sind sie, was wollte ich noch gleich?“

Auf die Tische legte sie kleine gehäkelte Deckchen. Sie stellte den Engelchor auf, der aus unzähligen Figuren bestand, baute sorgfältig die Weihnachtskrippe auf. Die Schwibbögen standen schon in allen Fenstern. Jedes Teil war mit einer eigenen Erinnerung verbunden. 

Nun fehlten noch die Kerzen. Und Elfriede Lichtenfels hatte unzählige Kerzen in allen Formen und Farben. Und, dass überall echte Kerzen waren war auch Ehrensache. Schließlich war sie die Frau des Kerzenfabrikanten. So zündete sie die Kerzen an den Schwibbögen an und die Kerzen am Baum, die großen und die kleinen Pyramidenkerzen, die Kerzen am Adventskranz und langsam leuchtete die ganze Wohnung in einem wunderschönen warmen Licht. 

Früher kamen immer wieder Kinder aus den umliegenden Dörfern und bettelten um Kerzen. Sie durfte die Kerzen an die Armen verschenken, die nicht so gut gelungen waren. Ihr Mann hatte sie immer mit nach Hause gebracht und irgendwie misslangen gerade kurz vor Weihnachten immer so viele Kerzen, dass niemand im Dunkeln sitzen müsste. Gerade in schweren Zeiten braucht es das Licht der Kerzen und gerade die Armen haben es am nötigsten, hatte ihr Mann Günther immer gesagt. Früher hatten sie zu Weihnachten Besuch. So war das Haus immer gefüllt und es hatte ihr nie etwas ausgemacht, dass sie keine Kinder kriegen konnten. 

Wie die Kaffeemaschine funktionierte hatte sie vergessen. Sie kochte sowieso lieber Tee im Pfeifkessel auf ihrem traditionellen Küchenherd, den sie mit Holz und kleinen Kohlen heizte. 

Bei den Nachbarn war sie unbeliebt. „Die Fackelt uns noch die Bude ab mit ihrem Kerzenfimmel. Die hat doch ein Rad ab.“, hatte Frau Vogel von nebenan neulich im Treppenhaus gesagt. Herrn Vogel missfiel die Art, wie seine Frau über die Nachbarin sprach. Er holte tief Luft, schaute auf die Kellertür, lächelte kurz, sagte dann aber nichts. Elfriede hörte trotz ihres Alters noch gut. Und es tat ihr auch leid, dass sie neulich den Kinderwagen der Nachbarn mit ihrem Rollator verwechselt hatte. Aber es ist nur einmal passiert und sie hat ihn ja auch gleich wieder zurück gebracht. Beinahe hätte sie vergessen das Räuchermännchen anzumachen und die Teelichtpyramide.“

Nun war es bei ihr hell und warm. Was sie gar nicht bemerkte. Im ganzen Haus war der Strom ausgefallen – ausgerechnet zu Weihnachten! In allen anderen Wohnungen war es dunkel. Auch die Gasheizung versagte ihren Dienst. Frau Vogel fuhr ihren Mann an: „Nun tu doch endlich etwas! Ruf doch mal bei den Stadtwerken an. Das kann doch nicht sein, dass wir hier im dunkeln sitzen.“ Herr Vogel wiegelte ab. „Da ist doch jetzt zu Weihnachten sowieso kein Schwein zu erreichen.“ Die Kinder maulten, weil sie um ihre Geschenke fürchteten. „Der Weihnachtsmann findet uns doch hier im dunkeln nie.“ Herr Vogel schlug vor: „Dann lass uns doch zu Frau Lichtenfels gehen. Die kann uns bestimmt ein paar Kerzen leihen. Dann wird es vielleicht noch ganz gemütlich.“ Frau Vogel gefiel der Gedanke gar nicht ausgerechnet bei dieser Nachbarin betteln zu müssen uns sie auch noch mit ihrem Kerzenfimmel zu bestätigen. Aber weil der Handyakku und das einzige Teelicht, das sie in der Wohnung gefunden hatten langsam zur Neige gingen stimmte sie wiederwillig zu.

Als Familie Vogel bei Frau Lichtenfels vor der Tür stand wäre sie am liebsten gleich wieder umgekehrt. Aber als Frau Lichtenfels die Türe öffnete roch es verbrannt. Frau Lichtenfels hatte gerade in der Küche Kohlen nachgelegt und eine kleine Kohle war brennend vor den Ofen auf das Ofenblech gefallen und dort ausgeglüht. Frau Vogel sah ihren Mann flehend an. 

Frau Lichtenfels begrüßte ihre Gäste ganz herzlich: „Die Familie Sassnitz, wir haben Sie schon erwartet. Wir haben uns ja so auf Sie gefreut. Kommen Sie doch rein!“ Frau Vogel schaute verwirrt und wollte noch korrigieren: „Wir sind Familie Vogel.“. Wieder sah sie mit einem flehenden Blick zu ihrem Mann. Da standen sie aber schon im Flur. „Schau mal Günther, was für lieben Besuch wir haben.“, sagte Frau Lichtenfels und holte noch Kekse aus der Küche. Die Wohnung war warm und hell und wunderbar geschmückt. Nachdem sich der Rauch verzogen hatte duftete es nach frischem Weihnachtstee. Die Kinder wurden ganz ruhig und ehrfürchtig. Noch nie hatten Sie so viele brennende Kerzen gesehen. Sie bewegten sich ganz vorsichtig und freuten sich am Flackern der Kerzen und dem tanzenden Spiel der Schatten der vielen Pyramidenflügel an den Wänden. Frau Lichtenfels servierte für alle Tee und Kekse. Später kamen noch die anderen Nachbarn. 

Frau Lichtenfels begrüßte sie ebenfalls herzlich. „Herr Bürgermeister und der Studienrat mit Familie, das ist aber eine Freude. Bitte entschuldigen Sie mein Mann kommt auch gleich. Er muss immer so viel arbeiten gerade zu Weihnachten wird viel Licht gebraucht. Aber wir können uns ja etwas die Zeit vertreiben. Sie stellte sich an die große Weihnachtspyramide, zeigte auf die verschiedenen Figuren, die dort im Kreis rannten und erzählte den Kindern die Weihnachtsgeschichte von den Hirten und den Weisen und der Geburt im Stall. Die Kinder klebten an ihren Lippen und hörten andächtig zu. Auch Frau Vogel hörte zu, besonders als Frau Lichtenfels darauf einging, dass man immer freundlich sein und Raum in der Herberge schaffen müsse, denn der Herr zeige sich oft gerade unter den Armen und Hilfsbedürftigen. Elfriede Lichtenfels war nun wieder ganz die Frau des Kerzenfabrikanten. 

Sie war eine gute Gastgeberin. Sie schenkte regelmäßig Tee nach und schien endlos viele Kekse für das Fest besorgt zu haben. Wenn der Bürgermeister und der Studienrat und die Familie Sassnitz zu Besuch sind soll es doch an nichts fehlen. Frau Vogel saß still da, ihr Blick verlor sich im Spiel der Kerzenflammen. Mit jedem freundlichen Wort, das Frau Lichtenfels aussprach, fühlte sie sich kleiner und ein bisschen beschämt. 

Für eine kurze Irritation sorgte es, als Frau Lichtenfels den zwei Dreijährigen Kerzen und Streichhölzer schenken wollte. Aber insgesamt wurde es für alle ein wunderschönes Weihnachtsfest. 

Sie feierten bis spät Abends, dann löschten sie vorsichtshalber alle Kerzen, bedankten und verabschiedeten sich. 

Frau Vogel und die Nachbarinnen verständigten sich noch auf dem Gang, dass sie doch Frau Lichtenfels nicht allein lassen könnten. Sie würden nun in Zukunft öfter mal nach ihr sehen müssen. Schließlich müssten sich ja auch die Frauen des Bürgermeisters und des Studienrates mit der Frau des Kerzenfabrikanten gut stellen. Dann gingen lachend und geleitet von den leuchtenden Handys wieder zurück in ihre Wohnungen. 

Als alle schliefen schlich Herr Vogel unauffällig in den Keller und schaltete die Sicherung wieder ein.